Kollagen – Wundermittel oder nur ein Hype?

Von Silvia Aeschbach

Wenn es darum geht, in den USA Kollagenpulver zu verkaufen, gibt es wohl keine bessere Werbeträgerin als Jennifer Aniston. Die amerikanische Schauspielerin und Produzentin gilt für viele als der Jungbrunnen. Seit dem Ende der erfolgreichen TV-Sitcom «Friends», bei der Aniston die Rolle der Rachel Green verkörperte, sind beinahe zwanzig Jahre vergangen. Für die inzwischen 54-Jährige scheint, jedenfalls optisch, die Zeit stillgestanden zu sein. Im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleginnen spricht sie sich öffentlich gegen Schönheits-OPs, Botox und Co. aus. Wenn es um ihr gutes und gesundes Aussehen geht, schwört sie auf ein äusserst striktes Ernährungs- und Bewegungsprogramm. Und seit zwei Jahren auch auf ein Kollagenpulver, das sie jeden Morgen in ihren Kaffee rühre.

Inzwischen ist der Kollagenhype auch in der Schweiz angekommen. Unzählige Produkte, Cremen, Ampullen, Tabletten oder eben auch Pulver preisen das körpereigene Protein und seine Anti-Aging-Wirkung. Kollagen gilt bei vielen als «Wundermittel», das nicht nur Falten glätten, Cellulite zum Verschwinden, sondern auch den körperlichen Alterungsprozess verlangsamen soll. Diese übertriebenen Versprechungen führten dazu, dass dem Nahrungsmittelzusatz in letzter Zeit immer wieder seine durchaus positive Wirkung abgesprochen wurde, obwohl diese auch von unabhängigen Studien belegt wurde (Review Study 2019).

Ein weiterer Grund dafür, dass an der Wirksamkeit von Kollagen gezweifelt wird, sind viele der im Handel erhältlichen Produkte. Diese verfügen weder über eine wirksame Zusammensetzung mit anderen wichtigen Co-Wirkstoffen, noch über eine wirksame Dosierung. Viele der Mischungen werden mit Füllstoffen, Zucker oder Konservierungsstoffen angereichert, um ein grösseres Volumen zu erreichen.

Dass in Sachen Kollagenpulver viele Fehlinformationen im Umlauf sind, bestätigt die Ernährungswissenschaftlerin und Bio-Medizinerin Vanessa Craig. «Damit eine Wirkung auf Haut und Gelenke sicht- und spürbar wird, braucht es eine spezielle Formulierung. Nicht nur hochwertige Kollagenpeptide, sondern auch andere Inhaltsstoffe, Elektrolyten und Antioxydanzien zur Unterstützung der Kollagensynthese im Körper», sagt die gebürtige Australierin, die heute in Zürich lebt. Ausserdem müsse das Kollagenpulver in klinisch wirksamen Mengen vorhanden und die Kollagenrohstoffe müssten frei von Schwermetallen und Toxinen sein. Auch dies ist offenbarbar bei manchen Produkten nicht selbstverständlich.

Die Wissenschaftlerin will dies mit ihrem eigenen Kollagenpulver «Formetta», welches sie in jahrelanger Forschungsarbeit entwickelt hat, einlösen. Den grossen Profit hat sie nicht vor Augen. «Ich sehe mich nicht als Unternehmerin, sondern als Wissenschaftlerin, die aufklären und beraten will.».

Kollagen ist eines der wichtigsten Proteine, das überall in unserem Körper vorkommt. Kollagenmoleküle sind reich an Glycin und Prolin und bilden als langkettige Makromoleküle im Körper quasi ein Gerüst, das für Festigkeit sorgt. Darum spricht man bei diesem Konstrukt auch von Strukturprotein. Bei jungen Menschen ist der Kollagenvorrat prall gefüllt. Er sorgt unter anderem für gesunde Haut, Haare und Nägel, ist aber auch zuständig für verschiedene andere Körperfunktionen. Obwohl über 28 verschiedene Kollagenarten bekannt sind, sind vor allem drei verschiedene Typen wichtig. Typ-1-Kollagen ist mit etwa 90 Prozent vor allem im Bindegewebe, in Haut, Knochen, Sehnen und Bändern vorhanden. Typ-2-Kollagen findet man vor allem in elastischem Knorpel, der die Aufgabe hat, unsere Gelenke zu polstern. Typ-3-Kollagen ist wie Typ 1 in Haut und Blutgefässen vorhanden.

In den meisten Kollagenpulvern wird wasserlösliches Kollagenhydrolysat verwendet, das aus der Haut oder den Knochen von Schweinen und Rindern gewonnen wird. Auch Kollagenpulver mit Zusätzen aus Geflügel- und Fischresten gibt es auf dem Markt. Vanessa Craig setzt auf bioaktive Kollagenpeptide aus der Haut von High-Welfare-Rindern, die natürlich nicht extra für die Herstellung gezüchtet wurden. Apropos Tiere: Auch wenn immer wieder solches beworben wird – es gibt kein veganes Kollagen. «Produkte, die als vegan bezeichnet werden, enthalten in der Regel einen Mix der Aminosäuren Glycin, Prolin, Hydroxyprolin und L-Lysin», sagt Craig.

Wie aber wirkt Kollagen im Körper? Da das Kollagenmolekül zu gross ist, um von der Darmwand absorbiert zu werden, muss es während der Verdauung in kleinere Ketten, die Peptide, zerlegt werden. Nach ihrer Aufnahme werden diese Peptide im gesamten Körper verteilt. Dies, um zur Neubildung von Kollagen anzuregen.

Nach dem 25. Lebensjahr nimmt die körpereigene Kollagenproduktion in den tieferen Hautschichten ab. Je älter wir werden, desto langsamer wird es wieder aufgebaut. Vor allem in den ersten vier Jahre der Wechseljahre – die bei einer Frau durchschnittlich zwischen 45 und 55 liegen – sinkt der Kollagengehalt um ca. 30 Prozent. Weil in diesem Zeitraum auch weniger Hyaluronsäure gebildet wird, die für die Hautfeuchtigkeit zuständig ist und es zudem zu einer verschlechterten Zufuhr von Nährstoffen kommt, nimmt die Spannkraft der Haut zunehmend und sichtlich ab. Negativ auf diesen Prozess wirken sich auch viel Sonne, eine zuckerreiche Ernährung, Rauchen und Alkohol aus. Neuste Erkenntnisse aus der Epigenetik zeigen, dass unsere Gesundheit höchstens zu 20 Prozent von unseren Genen abhängt. Somit sind die restlichen 80 Prozent voll unserem Lebensstil geschuldet. Die Versprechung, dass die Einnahme von Kollagen zu einer Verminderung von Cellulite führe, gehört allerdings in den Bereich des Wunschdenkens.

Im Zeitalter von Longevity wächst der Markt für Nahrungsergänzungsmittel ständig. Das zunehmende Gesundheitsbewusstsein vieler Menschen, aber auch die Bereitschaft zu einem gesünderen Lebensstil und dazu, mehr Verantwortung für den Körper zu übernehmen, sind dafür (mit-)verantwortlich.

Wie viel Geld Jennifer Aniston als Werbebotschafterin verdient, ist nicht bekannt. Laut kurier.at sind die Umsätze bei Vital Proteins, der Firma, die mit ihr wirbt, seit Anfang 2021 in die Höhe geschnellt. Das Unternehmen ist eine eigenständige US-Firma des amerikanischen Gründers Kurt Seidensticker geblieben, obwohl die Nestlé-Gesundheitssparte 2020 eine Mehrheitsbeteiligung übernommen hat. Es besteht darum kein Zweifel, dass der Höhepunkt des Kollagen Booms noch nicht erreicht ist.

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